Kunst am Bau bei Deutschen Botschaften und anderen Auslansbauten
Kanzlei und Residenz der Deutschen Botschaft Buenos Aires, Argentinien, 1980‐1983
Von 1966 bis 1983 war die Deutsche Botschaft Buenos Aires im Stadtzentrum untergebracht. Auf dem eigens dafür erworbenen fast 18.000 Quadratmeter großen Grundstück im Stadtteil Belgrano errichtete die Bundesrepublik zwischen 1980 und 1983 die neue Botschaft mit einer dreigeschossigen Kanzlei und einer zweigeschossigen Residenz sowie einem kleineren Mehrzweckgebäude, das beide Bereiche miteinander verbindet. Die eigentümlich verwinkelte Grundriss‐Gestalt des von Dieter Oesterlen entworfenen Ensembles verdankt sich nicht einem architektonischen Formwillen. Den Ausgangspunkt von Oesterlens Planungen bildete vielmehr der zu erhaltende alte Baumbestand in dem großen Park, der die Deutsche Botschaft zur „grünsten“ aller ausländischen Botschaften in Buenos Aires macht.
Die Kunst am Bau stammt von Ernst Günter Herrmann, der als Architekt, Stadtökonom, Bildhauer und in Zusammenarbeit mit Landschaftsarchitekten „im Durchdringungsbereich von Architektur, Skulptur und Freiraum“ arbeitet. Als Gewinner eines einstufigen Ideenwettbewerbs knüpfte Herrmann mit seiner Arbeit an das Gegebene und Ortsspezifische an mit dem ausdrücklichen Vorsatz, „durch unterschiedliche Gestaltungsmittel das neue Gebäude mit dem alten Park zu einer neuen organischen Einheit zu verbinden“[1]. In einer breit angelegten künstlerischen Intervention hat Herrmann der Eingangswand der Residenz ein reliefartig versetztes Quadermauerwerk aus Granit vorgespannt. Auf dem Boden verlegte er einen ornamentalen Belag aus Granitplatten und installierte sitzhohe Bruchsteinmauerkanten, die die Höfe von Residenz und Kanzlei verbinden und zu der vor der Kanzlei platzierten Skulptur aus unbearbeiteten Felsplatten hinführen.
Die Struktur des Reliefs und die Gestalt der vor der Kanzlei zu einer Skulptur geschichteten Steine sind sehr lebendig. Dennoch bilden sie einen unmittelbar spürbaren Gegensatz zu dem dynamischen gewinkelten und terrassierten Baukörper. Das Material, Granit und Travertin, das auch im Innern oder auf den horizontalen Geschossbändern der Fassaden begegnet, stellt zwischen der Kunst und der Architektur direkte Bezüge her. Im Empfangsraum der Residenz stoßen Ausläufer der reliefierten Granitwand auf den Travertin des Bodens und den grün geäderten Marmor der Führungswand; sie kontrastieren mit dem Glas der Türumrahmung und der Brüstung des Treppengeländers und mit den edlen Hölzern der gediegenen Ausstattung.
Die im Wesentlichen aus drei Elementen bestehende Arbeit erzielt so in der Gesamtwirkung eine auf Gegensätzen basierende Harmonie. Dabei ist die Gestaltung in sich unspektakulär. Sie setzt nicht auf künstlerische Gesten, nicht auf schnellen Sinnenreiz, sondern auf den kontemplativ oder sogar instinktiv bereits erfahrbaren sinnlichen Eigenwert der Steine. Granit und Travertin kommen als gebrochener Natur‐stein und hartkantig geschnittener Werkstein zum Einsatz; sie sind immer different polygonal ausgeformt und vielfältig geschichtet. Günter Ernst Herrmanns Kunst am und um den Bau überrumpelt den Betrachter nicht mit einem opulenten visuellen Angebot. Vielmehr liegt das ästhetische Potential in der Wahrnehmung von Setzungen, die so sehr mit der Architektur und der Natur harmonieren und korrespondieren, dass sie für sich in ganzem Umfang nicht gleich wahrgenommen werden. Gerade dadurch aber eröffnen sie einen um so größeren Erlebnishorizont.
Günter Ernst Herrmanns Installation baut auf eine archetypische Symbolik und auf eine universelle Ikonographie, die den Betrachter nicht über die Ratio und über konventionell geregelte ästhetische Codes und Kunststrategien erreicht, sondern über auch unreflektiert erfahrbare individuelle oder kollektive Urbilder.
Der Gestaltungsansatz der Kunst am Bau der Botschaft Buenos Aires ist auf eine vielleicht postmoderne Art modern. Weder die Architektur noch die von der Grünanlage mit dem wertvollen Baumbestand aus Palmen, Zypressen und Zedern verkörperte Natur wird als Gegenspielerin begriffen. Sie gehen vielmehr in eine Kunst ein, die sich nicht über herkömmliche „Bilder“ definiert, sondern selbst Bestandteil des täglichen Lebens‐ und Erfahrungsraums ist.
Als Kunst im traditionellen Sinn springt die 1982 in Deutschland geplante und realisierte und vor Ort montierte Gestaltung, wie gesagt, nicht ins Auge. Herrmann löst mit dem ausgreifenden Ensemble den klassischen Skulpturbegriff der Moderne auf. Erstmals die Sechziger Jahre hatten auf breiter künstlerischer Front die Skulptur wieder vom Sockel ihrer ortsunabhängigen musealen Autonomie geholt. Diesen Ansatz wiederholt Herrmanns Installation, indem sie Relief und Skulptur kommunikativ verschränkt und in größere, örtliche und architektonische Zusammenhänge re‐integriert. In Abstimmung mit dem Architekten entstand eine ortsbezogene Installation, die als Paraphrase des gleichberechtigten Zusammentreffens von Natur und Architektur, von Natur und Kunst und Architektur und Kunst zu lesen ist.
In der damaligen Kunstszene gab es zahlreiche Anstrengungen, den Gegensatz von Kunst und Außenraum zu überbrücken und auch Landschafts‐ und Gartengestaltungen zum Betätigungsfeld der Kunst‐am‐Bau‐Akteure zu machen. Der BBK und der Deutsche Künstlerbund plädierten gerade zu der Zeit, als die Botschaft Buenos Aires errichtet wurde, das Wirkungsfeld der Kunst am Bau in Richtung Kunst im öffentlichen Raum zu erweitern, um zum Beispiel bei der Stadtgestaltung zur Verbesserung des Wohnumfeldes und der Lebensqualität im Ganzen beizutragen. Die Nachhaltigkeit solcher Ansätze zeigt sich nicht zuletzt auch in dem Japanischen Steingarten, der als Kunst am Bau das Jakob‐Kaiser‐Haus in Berlin bereichert.